Wie Alles anfing
(Bilder folgen noch)
Goethe sagte einmal in "Maximen und Reflektionen": "Geschichte schreiben ist eine Art, sich das Vergangene vom Halse zu schaffen".
Der Entschluss, meine Vereinserinnerungen niederzuschreiben, hat trotz des Goethe-Wortes ernsthafte Erwägung nötig. Anders als beim gelegentlichen Gedenken vermag die Niederschrift längst vergessene Geister der Vergangenheit zu wecken, lässt Freude neu erleben und vernarbt geglaubte Wunden wieder schmerzen. Das geschriebene Wort gibt auch darüber Rechenschaft, wie man das eigene auferlegte Schicksal gemeistert hat.
Schwieriger ist die Entscheidung, ob man mit den im Bericht enthaltenen Erkenntnissen kühl betrachtende, fremde Augen öffnen soll, die nicht selbst Erlebtes anders beurteilen. Man setzt sich damit der Gefahr der Missdeutung und einer Kritik aus, die verletzen kann, und die man nur schwer hinzunehmen bereit ist. Sei´s drum!
Wer die Zeit mit ihren gewaltigen Wandlungen, dem Fortschritt, dem Zuwachs an Wissen und Stürmen innerhalb der letzten 50 Jahre unmittelbar erlebt hat, ist wohl verpflichtet, sie der Nachwelt zu erhalten, auch wenn er nur ein kleines Steinchen dem großen, vielfarbigen Mosaik hinzufügen kann. Wenn jeder so denkt und handelt, wird das Mosaik zum Bild.
Noch nicht ganze 10 Lenze zählte ich, als mir mein Großvater eine Angelrute zu Weihnachten auf den Gabentisch legte. In den vergangenen Monaten hatte ich ihn des öfteren beim Fischfang begleitet. Herr Johannes Lorenz Kärcher, der Besitzer des Tonwerkes und der Tongruben, hatte Großvater die Fischereierlaubnis gegeben. Diese Tongruben - im Volksmund Backsteinlöcher genannt - waren nach Anpachtung die ersten Vereinsgewässer, als von Dr. med. Werner Knobeloch als 1. Vorsitzenden, Heinz Brettner (Sportwart) und August Bohn (Kassenwart) am 19.3.1954 unser Angelsportverein aus der Taufe gehoben wurde.
Neun mehr oder weniger rechteckige Teiche von unterschiedlicher Länge und Breite (von 40, 50 bis 60m Uferlänge) waren bei den Baggerarbeiten entstanden, von denen die Stadt drei als Müllhalde mit Beschlag belegte. Die übrigen, in unserer Bezeichnung I-VI genannten Teiche, waren an den Rändern Schilfbestände und von Büschen und Weiden, Erlen und Weißdornhecken gesäumt. Diese Gewässer besetzten wir unterschiedlich mit Fischarten, die wir hegten und pflegten und natürlich auch fingen.
Gründungsprotokoll
Bensheim, 19.3.1954
Die Unterzeichneten kamen heute auf der durch Zeitungsaufruf einberufenen Interessenversammlung zur Ausübung des Angelsports überein, einen Angelsportverein zu gründen und vollzogen das Vorhaben durch die Wahl der Herren Dr. Werner Knobeloch zum, 1. Vorsitzenden, Heinz Brettner zum Schriftführer und Sportwart, August Bohn zum Kassierer. Es wurde beschlossen, den Verein "Angelsportverein Bergstraße Sitz Bensheim" zu nennen.
Als Eintrittsgebühr wurde der Betrag von DM 3.00 festgesetzt.
Teilnehmerverzeichnis der Zusammenkunft der Angelsportler am 19.3.1954 in der Stadtmühle zu Bensheim
Am Teich IV mauerten wir das Balkengerüst einer alten Wehrmachtsbaracke mit Ziegelsteinen aus und schufen dort unser erstes Vereinsheim, legten einen schönen Garten an und zäunten alles ein. Vom Vorauskommando der späteren Auerbacher Pioniere erhielten wir die Holzteile, die Ziegel von der Backsteinfabrik. Als innen verputzt und tapeziert war, feierten wir hier manches frohe Fest.
In den fünf gut besetzten und waidgerecht gehegten Teichen konnten wir recht unbeschwert unserer Fischwaid nachgehen, bis die Grundwasserabsenkung im Ried auch uns traf. Den Wasserstand der Weschnitz und des Rheins hatte man im Binger Loch 1962 durch Sprengungen um einen Meter gesenkt, so dass auch der Wasserstand in unseren Teichen stark fiel und zwar von Osten nach Westen. In Schwerstarbeit verbanden wir die Teiche untereinander, indem wir ca. 3 Meter tiefe Gräben in den Lehm gruben und Rohre verlegten. Nach Jahresfrist reichte auch dies nicht mehr. Die Feuerwehr half uns. Sie pumpte Wasser um und spritzte an warmen Sommertagen Fontänen, um das Wasser für unsere Fische mit Sauerstoff anzureichern.
Bagger des Tonwerks zur Lehmgewinnung für die Backsteine in der Ziegelherstellung
Zum Glück entstanden damals neue Tiefbrunnen für das Wasserwerk in der Gartenstrasse für die Stadt. Vor Einspeisung dieses Trinkwassers in das Versorgungsnetz mussten diese Brunnen 14 Tage zur Reinigung im Probebetrieb laufen. Mit einer von der Feuerwehr gelegten Schlauchleitung über die Ried- und Eifelstrasse leiteten wir das abgepumpte Wasser in die Südostecke des Teiches I ein. Das war dort, wo heute die Eifelstrasse in die Taunusstrasse einmündet. Da der Wasserstand aber laufend weiter abfiel, suchten wir nach Bewässerungsmöglichkeiten aus der Lauter und dem Meerbach. Der Leiter des städt. Tiefbauamtes, Herr Ernst Hering, zeigte uns als exakter Kenner des Kanalsystems, wie das Wasser der beiden Bäche in die Backsteinlöcher geleitet werden konnte.
Vorher mussten wir natürlich die Kanäle erst einige Stunden spülen. Das ging nur an den Feiertagen. So standen vor Weihnachten/Neujahr, Ostern/Pfingsten, evtl. auch vor Himmelfahrt und Fronleichnam die Sportkameraden Ernst Schmiedl sen., Heinrich Mohr, Berthold Wittke sen., Hans Hombeuel, Peter Wollenweber sen., Ignaz Blomeyer und Hans Blumenschein in den eiskalten Bächen und Kanälen und leiteten das Wasser um.
Boot auf dem Baggerteich mit Schornstein der Backsteinfabrik im Hintergrund.
Am Stau der Lauter in der Fehlheimer Strasse ging es zur Taubertsgasse durch den Bahndamm zur Dammstrasse bis zur Eifelstrasse und zum Hauptsammler IV, von diesem in den Teich I. Der Meerbach wurde bei der Fa. Euler gestaut.
Unterirdisch lief er von der Heidelberger Strasse über die Gerbergasse zum Rinnentor, weiter in den Neugraben in der Schwanheimer Strasse bis zu einem künstlichen Stau an der Firma Döß, wo heute die Firma OBI ist. Entlang der Westseite dieser Firma lief das Wasser im Wiesengraben zur Südwestecke des Teiches IV.
Als Einlässe zu den Teichen I und IV hatten wir Dome betoniert. So war es möglich, bei Bedarf die Teiche aufzufüllen. Vor der Bewässerung mussten natürlich die Bachanlieger in Zell und Gronau und die Betriebe an der Lauter vorher gewarnt werden, dass keine Schadstoffe in das Bachwasser eingeleitet wurden. Das besorgte jeweils der 2. Vorsitzende des Vereins, Heinz Brettner, der als Leiter der Kriminalpolizei des Kreises Bergstrasse über die nötige Autorität verfügte.
Selbst beim ersten Einsatz - es war Heiligabend - gab es kein Murren! Heinz Brettner und mir kamen die Kenntnisse aus meiner Tätigkeit im Abwasserverband Lauter-, Winkel- und Zellerbach zu Nutze. Diese Tätigkeit im Abwasserverband habe ich ehrenamtlich als Magistratsmitglied bis 1993 ausgeübt. Im folgenden Jahr haben wir dann über Ostern und Pfingsten nochmals Bewässerungen vorgenommen. So konnten wir unseren Fischbestand halten.
Angler am Teich III, hinten die Bergstraße und das alte Anglerheim
Nebenbei und augenzwinkernd: Der Angelverein hat damals schon aktiven Landschafts- und Naturschutz betrieben und geleistet, indem er durch die laufende Wasserzufuhr der Versteppung der Westgemarkung unserer Stadt vorbeugte.
Der Bau der Autobahn und der westlichen Entlastungsstraße (später Berliner Ring) verlief für den Verein sehr ereignisreich. Seit Februar 1967 wurde am Niederwald, den Backsteinlöchern und an der Erlache gebaggert. Greif- und Saugschwimmbagger wurden eingesetzt. Für kurze Zeit wurden uns so an den Tongruben die Wassersorgen abgenommen. Wir mussten aber auch eine Kröte schlucken, denn als erstes ging unser Vereinsheim entschädigungslos verloren.
Die Freude über das Wasser währte nur kurz, denn der Schwimmbagger brachte trotz Rückspülverfahren bei der Schaffung des heutigen Badesees nicht genügend Wasser zurück. Je tiefer der See wurde, desto mehr sank das Oberflächenwasser, denn auch das Grundwasser lief nicht genügend nach. Wir mussten damals die Fische öfters in tiefere Baggerstellen umsetzen; oder sie gingen ganz verloren.
Die Firma Möbius war für die Bau- und Baggerarbeiten verantwortlich. Sie musste pro Tag eine erhebliche Konventionalstrafe (fünfstellig) bei Nichterfüllung der Planarbeiten bezahlen. Wegen Wassermangels - der Schwimmbagger saß auf dem Trockenen - musste besagte Firma am Tag vor Pfingsten die Arbeiten einstellen.
Wir haben über die Pfingstfeiertage den neuen See bis zum Rand nach dem aus den Backsteinlöchern bekannten Schema geflutet. Herr Möbius hat uns dafür großzügig beim Fischbesatz unterstützt. Mit Heinz Brettner und unserem Kassierer Heini Mohr besuchte ich die zwei bis dahin ca. 200m² großen Tümpel, die in der Erlache und am Niederwaldsee entstanden waren. Die beiden Teiche enthielten erstklassiges Wasser. Wir beschlossen in der nächsten Vorstandssitzung, - zumal beide noch vergrößert werden sollten, - sie für unseren Verein zu erwerben. Ich trug damals Bürgermeister Wilhelm Kilian die Bitte vor, die Teiche besetzen zu dürfen. Übrigens waren Wilhelm Kilian und seine Frau Elisabeth begeisterte Angler und Vereinsmitglieder. Kilian gab augenzwinkernd seine Zusage. Mehr konnte er nicht erlauben, da die Stadt den Grund und Boden noch nicht erworben hatte. Wegen der laufenden Vertragsverhandlungen konnte und wollte er sich nicht der Gefahr einer eventuellen Preissteigerung aussetzen. Auf eigenes Risiko haben wir in stillem Einverständnis (mit Kenntnisnahme der CDU Fraktion und in Absprache mit Fritz Dammann als SPD-Fraktionschef) den Besatz in der Erlache vorgenommen, der unseren Vereinsmitgliedern bereits 2 Jahre später einen Riesenfang von 6 Ztr. Forellen an einem Tag bescherte. Meine Mitangler und ich fingen mit größter Begeisterung.
Angeln auf den Pontons des Badesees.
Am Niederwaldsee hatten wir mit dem Besatz nicht gleich genau so viel Glück. Die dort eingesetzten Schleien wuchsen sehr langsam ab und zeigten Erkrankungen an den Kiemen, die Fischereimeister Haas an Hand des von uns nach Hanau gebrachten Materials als durch Parasiten hervorgerufen diagnostizierte. Wir kauften auf sein Anraten für 1.000,00 DM antibioticahaltiges Fischfutter (Carpi) und konnten nach kurzer Zeit mit gezielter Fütterung den Besatz gesunden und mit neuen Schleien, Karpfen und Weißfischen aufstocken.
In dieser Zeit des Umbruchs verstarb unser, wegen seiner großen Verdienste um den Verein zum Ehrenvorsitzenden ernannte Dr. Flamm.
Von allen Seiten wurden wir bestürmt. Wir wurden beneidet um unsere attraktiven neuen Gewässer. Die Fischereierlaubnis für die Lorscher Sportfreunde konnten wir leicht abwehren, denn die Erlache war ja noch nicht vertraglich in unserem Besitz, ebenso wenig wie der Niederwaldsee. Die Firma Möbius war damals noch Besitzer und von dieser Firma hatten wir die
Erlaubnis zum Besatz. Nur durch diese, für uns günstige Konstellation war der Kampf in den folgenden Monaten erfolgreich zu führen, denn ein neuer Verein hatte sich 1968 mit 7 Mitgliedern als "Arbeiterangelsportverein" gegründet, der energisch und zielstrebig versuchte, uns den Erlachsee abzujagen. Mehrere hartnäckige Verhandlungen - (selbst die Stadtverordnetenversammlung konnte sich nicht festlegen) - waren nötig, um sich zu einigen.
Von unserer Seite wurden viele Vorschläge zur Güte gemacht bis hin zu dem Angebot: Aufnahme in unseren Verein mit allen Rechten und Pflichten bei herabgesetzter Aufnahmegebühr. Die stereotype Absage kam immer wieder: "Wir passen nicht zusammen!" Die der Stadt mitgeteilte Sozialstruktur unseres Vereins lautete Ende März 1969 wie folgt: 29 Arbeiter, 12 Rentner und Kriegsversehrte, 12 Angestellte, 9 Selbständige und Handwerksmeister, 8 Jugendliche in der Berufsausbildung, 7 Akademiker und 1 Hausfrau.
Am 02. Oktober 1969 haben wir nach einstimmiger Abstimmung in unserem Verein auf den Niederwaldsee verzichtet und diesen dem Arbeiterangelsportverein übereignet.
In den folgenden Jahren wurden Bade- und Erlach-See zu erstklassigen Fischgewässern ausgebaut. Als Gewässerwart fungierte Willi Bischer und anfänglich auch Manfred Richter, der aber dann als 2. Vorsitzender, Gewässeraufseher und Beisitzer andere Aufgaben übernahm. Willi Bischer hat in all den Jahren hervorragende Arbeit für den Besatz geleistet, indem er sich als Autodidakt in Gewässerkunde fortbildete und heute zu den anerkannten Experten in unserem Lande zählt.
Seine Erfolge beim Auf- und Ausbau des Erlach-Sees fanden sogar höchste Anerkennung bei der Oberen Naturschutzbehörde. Die Sitzung am 30. November 2000 gab unserem Verein Rechtssicherheit für unser Waidwerk und präzisierte unsere Hegemaßnahmen. Vor allem testierte uns das Regierungspräsidium: "Das Bemühen des Vereins war in den zurückliegenden Jahren darauf gerichtet, eine weitgehend heimische und sich selbst produzierende Fischfauna zu begründen".
An dieser Stelle wollen wir unserem Ehrenbürgermeister Georg Stolle für seine immer währende Unterstützung und stete tatkräftige Hilfe aufrichtigen Dank sagen. Am 6. Februar 2004 wurde Herr Stolle zum Ehrenmitglied unseres Vereins ernannt.
So hoffe ich, dass wir in den folgenden Jahrzehnten unser geliebtes Waidwerk naturverbunden ausüben können, denn als köstliche Ausgeglichenheit aller Lebenskultur ist das Angeln eines "nachdenklichen Mannes Erholung!".
Dr. Kurt Edelhäuser